Berührungen. Zu den Schmuckobjekten von Birgit Schlarmann

Berühren: tangere, attingere, attrectare, ahd. pihruoran, mhd. berüeren, nnl. beroeren, anrühren, angreifen.

sinnlich, mit den fingern, den lippen berühren, mit der hand, mit dem fusz; die hand, den mund, den leib, das kleid, gewand berühren; den boden, die oberfläche, den saum, die saite;
figürlich (...) er hörte seinen sohn flöte spielen, wodurch er bis aufs innerste seines herzens berührt (gerührt) wurde. (...); die lieblichen gestalten, die unsere phantasie berührt haben.

(J. u. W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854-1961)

Um den Hals getragen, an den Finger gesteckt, an der Brust angebracht, berühren die Schmuckobjekte von Birgit Schlarmann gleichermaßen Körper und Sinne. Von Broschen, Ketten und Ringen strecken uns immerblühende Blumen ihre Köpfe entgegen. Zart und doch kokett. Auf kleinstem Raum öffnen sie selbstbewusst ihre leuchtenden Universen und verschenken gleichmütig ihr Strahlen an all jene, die den Blick auf sie richten. Sehen ist berühren auf Distanz.
Doch die Objekte von Birgit Schlarmann möchten auch aus der Nähe erkundet werden: Größe, Material und Textur machen neugierig, sie verführen dazu, die Blumenfelder tastend zu erkunden, sie fühlend zu erfahren, ihren Konturen mit dem Finger zu folgen, sie mit der Hand zu umschließen. Sie mit allen Sinnen zu berühren. Ceci n‘est pas une fleure.
Ohne Berührung gäbe es keine Gestaltung und so ist das fertige Objekt bereits ein berührtes: Wenn die Künstlerin den Faden spannt, der mit jedem Stich seiner Bestimmung zugeführt wird, so schreibt sie sich selbst dem Objekt ein und gibt ihre Berührung an die Trägerin, an den Träger weiter.
Dass dieses Berührtwerden durch eine Blume auch schmerzhaft sein kann, beschreibt Sylvia Plath in einem Gedicht und fordert: „Die Tulpen sollten hinter Gittern sein wie gefährliche Tiere; / Sie öffnen sich wie das Maul einer großen afrikanischen Katze, / Und ich werde aufmerksam auf mein Herz: es öffnet und schließt / Seine Schale von roten Blumen aus purer Liebe zu mir.“

Dr. Monika Ankele

1 „The tulips should be behind bars like dangerous animals; / They are opening like the mouth of some great African cat, / And I am aware of my heart: it opens and closes / Its bowl of red blooms out of sheer love of me.” (Sylvia Plath, Tulips)


Points of touch: Birgit Schlarmann’s jewelry objects

Worn around the neck, slipped onto a finger, pinned to the chest, Birgit Schlarmann’s jewelry objects touch both body and senses. The heads of ever-blooming flowers rise up from brooches, necklaces and rings -. delicate, yet playfully coy. In the tiniest space they boldly reveal their luminous worlds, stoically sharing their radiance with any gaze that comes their way. Viewing is touching at a distance.
Yet Birgit Schlarmann’s objects also merit being explored from up close. Size, material and texture pique our curiosity, draw us to explore the flower fields by touch. To experience by feeling, to trace their outlines with our finger, to hold them in our hand. To touch them with all our senses. Ceci n’est pas une fleur.
No touch, no design. In this sense the final piece is one that has been touched. When the artist tightens the thread that with every stitch comes closer to fulfilling her vision, she is inscribing herself in the object, sharing her touch with the person wearing the piece.
That being touched by a flower can also involve pain is something Sylvia Plath describes in a poem with admonishing words: “The tulips should be behind bars like dangerous animals;/ They are opening like the mouth of some great African cat./ And I am aware of my heart: it opens and closes /Its bowl.”

Translated into English by Camilla Nielsen


Birgit Schlarmanns Broschen sind tragbare Textil-Collagen aus Wolle, Seide und Glasperlen, die die Künstlerin teils mit floralen Motiven – einzelnen großformatigen Blumen oder kleinteiligeren Kompositionen aus Röschen und Vergissmeinnicht – bestickt oder mit Spitzen, Bordüren und anderen Accessoires verfeinert. Die Schmuck-Objekte bestechen durch ihre dekorative Farbigkeit und die sinnliche Haptik der verwendeten Materialen.

In ihrer nuancenreichen Blüten- und Farbenpracht huldigen Schlarmanns Broschen – zum Repertoire gehören auch Ringe, Armbänder, Ohrringe und Ketten – dem prallen Leben, dem üppigen Aufblühen, dem Sprießen und Sich-Entfalten. Ähnlich einer Blume entfalten sich ihre Broschen, jede ein Unikat, am Gewand ihrer Trägerin. Sie wirken wie Blüten, die aufblühen, aber nie verwelken oder absterben. Sie sind ein kreativer Aufschrei wider die Vergänglichkeit, eine Ode an die Schönheit des Lebens. Neben der Natur bietet der Künstlerin auch die orientalische Mustervielfalt ihres Ateliers in der Wiener Zacherlfabrik eine ständige Inspirationsquelle.

Auf der Suche nach neuen Präsentationsformen hat Birgit Schlarmann ihre meist multifunktional angelegten Schmuckstücke – ihre Broschen können gerahmt an der Wand als auch mit einem Magnet auf einem Silbertablett oder am Revers hängen – in Kommunikation mit anderen Genres treten lassen. Durch diese spartenübergreifende Präsentation entstehen neue Zusammenhänge und Blickwinkel. Im Katalog zum 6. Eligius Schmuck-Preis des Landes Salzburg 2019 zeigt Birgit Schlarmann ihre Broschen in Kombination mit zarten Tuschmalereien von Brigitte Podgorschek, die die Tragbarkeit von Schlarmanns Broschen illustrieren.

Dr. Verena Traeger, Kunsthistorikerin



Katalog zum 6. Eligius-Schmuck-Preis des Landes Salzburg 2019


Birgit Schlarmann und Götz Bury
Aura

Die Synthese prachtvoller Geschmeide und ikonischer Tabernakel
Zwei Koryphäen im Dialog
Eine Übertreibung

Vom 25. Jänner bis 17. März 2019 zeigt die Galerie V & V im 1. Wiener Gemeindebezirk zwei künstlerische Positionen, die durch ihre unterschiedliche Materialwahl zunächst in völligem Kontrast zu stehen scheinen. Den glänzenden, metallischen bildhauerischen Experimenten Götz Burys werden die weichen, floralen Gebilde Birgit Schlarmanns gegenüber gestellt. Auf der einen Seite steht das Spiel mit dem Pompösen, der vorgeführten Dekadenz sakraler und profaner Machtsphären. Auf der anderen findet sich das Natürliche, der fortschreitend bis zur Überwucherung erblühende schmuckhafte Ausdruck. Das Zusammenspiel der beiden künstlerischen Ansätze lässt dabei ein zeitgenössisches Panoptikum erwachsen, das als kritischer Blick auf die ehemalige Kaiserstadt Wien verstanden werden kann, die nach außen hin gerne als zwischen Tradition und Moderne gefangene Matrone präsentiert wird. Liturgische Geräte und Insignien, wie Krone oder Zepter, sind aus silbernen Löffeln, Eierbechern und Zitronenpressen konstruiert. Die Juwelen, Geschmeide und apotropäischen Amulette bestehen aus Filz, vielfarbigen Stoffen und Glasperlen. So eröffnet sich eine Schatzkammer, in der die Tabernakel aus Käsereiben Aufbewahrungsstätten für wollene Reliquien sind und Kurioses auf Zauberhaftes trifft. Ohne Übertreibung...

Fabia M. Podgorschek




Katalog ab Juni 2018 erhältlich


Als ob sich das Gatter zu einem verwunschenen Garten öffnen würde, so öffnet sich die Welt zu Birgit Schlarmanns Kleinoden. Eine Welt aus schillernden und prächtigen Schmuckstücken, tief verwurzelt in der Flora, mit strahlenden Farben und einer detailverliebten Vielfalt. Hier werden textile Sphären, wie die Filzarbeit und die Näharbeit, mit Garn und Perlen zu einzigartigen Körpern arrangiert. Es sind Collagen, die das klassische Motiv der Blume neu aufblühen lassen. Es sind Ringe, Ketten, Broschen, Anhänger, die durch ihr ordentliches Volumen und durch ihre haptische Großzügigkeit eine spürbare Kraft ausstrahlen. So ist eine Kette mit `Blumenast´ großzügig geschnitten. Sie zeigt eine aus kleinen Kugeln zusammen gebündelt faustgroße Blüte, die an einen festen Strang anschließen, von dem ein Blatt absteht. Dieser Ast mündet in einer Kette, die in ebenso breiten und runden Perlen aufgegliedert ist. Zusammen mit einem angenehmen Gewicht markiert der Ast das Zentrum des Körpers wie eine Energiequelle. Das Objekt wird zum floralen Glücksbringer. Gleich einem rituellen Werkzeug, liegen Birgit Schlarmanns Werke auch gut in der Hand. Tatsächlich können sie gedrückt oder gestreichelt werden oder man folgt mit den Fingern den gestickten Spuren. Einem Schmeichler ähnlich erscheint da eine handgroße Brosche, aus einer amorphen Form, einem gefundenen Stein gleich. Sie ist bestickt mit Blüten und Blattwerk mit unterschiedlichen Garnen. Der ´Blumenkorb´ ist gerahmt mit einem dünnen, aufgestickten Stoff, der zur Innenseite feine Raffungen aufweist. Sie erinnern zum einen an den Rahmen eines Genregemäldes und zum anderen an Bordüren oder sorgfältig gesetzte Falten von Polstermöbeln. Da wird in neuen floralen Interpretationen die eigene Heterogenität hinterfragt, ohne aber weh zu tun, sondern um zu versöhnen, um zu vereinen, um einen neuen Konsens zu suchen. Als ob das Filzpolster selbst zum Schmuckmöbel werde, verschmelzen hier die Grenzen zwischen Bild, Objekt und angewandter Kunst. Daher sind es Einzelstücke, die diesen Willen der Künstlerin besiegeln. Unikate, die einen anschmiegsamen und weich- nachgiebigen Raum, gleich einem Amulett bilden, in dem auf eine neue Art ein persönliches Geheimnis, ein Gedanke ruhen darf, wie jener an die Flora eines verwunschenen Gartens.

Katharina Kielmann




"Filzobjekte in allen Formen und Farben" (Nordwestzeitung 20.1.2016)




Katalog ab März 2014 erhältlich.


Sie filzen und sticken immer noch

"Sie filzen und sticken immer noch" (Tanja Paar, dieStandard.at 12.3.2014)



Granny Birgit Witz

„Granny“ von Linda Bilda

AUFGEBLÜHT
Birgit Schlarmanns wollige Blütenpracht

Der Schmuck ist angerichtet. Blüten so weit das Auge reicht. Ein Besuch in Birgit Schlarmanns Atelier in der orientalofilen Zacherlfabrik in Wien entführt einen in die üppig bunte Welt der Schmuckkünstlerin.

Ihre Vorliebe für schöne Blumen und frische kräftige Farben setzt Birgit Schlarmann in ihren Schmuckkreationen um. Einmal sind es einzelne großformatige Blumen, die an Rosen, Anturien oder Trichterwinde erinnern, ein andermal sind es kleinteiligere florale Kompositionen aus Röschen und Vergissmeinnicht, die sie aufwändig mit Perlen und kleineren Accessoires, Bordüren und Stickereien verziert. Zu ihrem Repertoire gehören Ringe ebenso wie Armbänder, Ohrgehänge, Halsketten und immer wieder Broschen, die oftmals multifunktional angelegt sind, sowohl fürs Revers als auch gerahmt für die Wand. Immer sind es Unikate, die in Handarbeit entstanden und mit positiver Energie für die Trägerin aufgeladen sind.

Das Filzen erlernte Schlarmann 2003 in mehreren Kursen bei der Tiroler Künstlerin Lies Bilowski in Hetzendorf und Innsbruck. Danach begann sie selbst zu experimentieren und zu verfeinern. Heute hat sie ihre eigene Methode entwickelt. Zuerst werden die Farben sorgfältig ausgesucht, die Wolle wie auf einer Farbpalette gemischt und dann in einem mehrtägigen Prozess von Hand gewalkt bis der Filz die richtige Konsistenz und Farbzusammensetzung hat. So entsteht durch Nassfilzen mit heißem Seifenwasser über mehrere Tage hindurch und in mehreren Etappen das Grundmaterial für ihre blumigen Kreationen. Die bereits gefärbte Wolle bezieht die Künstlerin eigens aus einer großen Spinnerei im Schwarzwald, denn nur dort hat sie die von ihr gewünschte, besonders weiche Wollqualität und die außergewöhnlich nuancenreiche Farbenvielfalt vorgefunden. Am Werkstoff Wolle schätzt die Sckmuckkünstlerin das außerordentlich Haptische, das wohlig Wärmende und das schmeichelnd weiche an den Körper Anschmiegsame.

Wie Blüten scheint auch ihr Schmuck einem jahreszeitlichen Zyklus zu unterliegen. Es gibt üppige Wollketten und Schmuck aus großen gefilzten Blüten, die sie selbst als "Winterschmuck" bezeichnet, weil er eine wärmende Wirkung beim Tragen entwickelt. Die leichteren "kühleren" Ketten hingegen sind auch im Sommer angenehm zu tragen. Manche Stücke entstehen in einem Tag, andere wiederum über einen längeren Zeitraum hinweg. Es gibt intensive Arbeitsperioden und dann wieder Schaffenspausen, die der Anregung und inneren Ideesammlung dienen. Immer ist ihre Arbeit ein meditatives Eintauchen in einen kreativen Schöpfungsprozess. Schlarmanns durchgehendes Thema ist dabei die Entfaltung. Ihre Broschen entfalten sich wie Blüten, die aufblühen, aber nie verwelken oder absterben. Was ursprünglich nach drei aufeinanderfolgenden Todesfällen in der Familie als Teil der eigenen Trauerarbeit begann ist bis heute ein kreativer Aufschrei wider die Vergänglichkeit.

Verena Traeger

english version:

BLOSSOMING OUT
Birgit Schlarmann's delicious woolly blooms

A cornucopia of jewellery that looks good enough to eat, blooms unfurling wherever you look. Stepping into Birgit Schlarmann's studio in Vienna’s Zacherlfabrik, an extravagant 19th century former factory building in the Oriental style, is like being magicked away into the opulent colourful imagination of the jeweller.

Birgit Schlarmann channels her passion for beautiful flowers and strong vibrant colour into making idiosyncratic textile jewellery and artworks – some of them large scale solitaire blooms reminiscent of roses, laceleaf or morning glory, others dainty, highly detailed floral vignettes with roses and forget-me-nots, meticulously embellished with beads, findings, braiding and embroidery. Her collection includes rings and bracelets as well as earrings, necklaces and her speciality: brooches. The latter are often multi-functional and can either be worn on the lapel or framed and hung on the wall. All pieces carry the positive energy that comes with being lovingly created as one of a kind.

After first exploring felting during several courses with Tyrolean artist Lies Bielowski in Hetzendorf and Innsbruck in 2003, Schlarmann began to experiment, refining her technique and gradually making the method her own. She starts by choosing her colours, carefully picking and mixing strands of dyed wool as if on a painter's palette. The wool is then manipulated in a process called fulling, which can last for several days, until it takes on the desired consistency and colouration. This first step of wet-felting the wool with hot soapy water yields the raw material for her flowery creations. She makes a point of sourcing the dyed wool from a large woollen mill in Germany's Black Forest, the only place where the required quality and an extraordinarily nuanced colour palette is available. What she most loves about her chosen medium is its comforting warmth, its sensuous and tactile qualities and the way it sinuously hugs and caresses the body.

Like flowering plants, Schlarmann's jewellery follows the seasons. She calls her chunky wool necklaces and jewels with large felt flowers winter jewellery because they help to keep the wearer warm. Her lighter, more delicate necklaces on the other hand are just right for warm summer days. Some pieces are crafted in one session whilst others keep developing over a period of time. Schlarmann goes through intense spurts of creative productivity as well as contemplative, restorative phases for gathering inspiration. With every stage in the artistic cycle, she immerses herself in the meditative processes of creation. Schlarmann's abiding theme is the unfolding of flowers. Her brooches open up like blossoms that bloom but never wither or die. What started as part of a personal journey to overcome her grief for three consecutive deaths in the family has become a life-affirming war-cry against the ephemeralness of being.

Translated into English by Elisabeth Winkelmann.